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(E-)Mobilität als Megatrend unserer Zeit

25.02.2022 Stefan Aeschi, Dipl. Architekt ETH/SIA DAS Wirtschaft FH Experte Bau- und Energietechnik

Bidirektionales Laden, Vehicle-to-Grid und Nutzen statt Besitzen – was die Elektromobilität heute schon kann und was noch dazukommen wird.

Mobilität ist einer der grossen Megatrends unserer Zeit. Wie alle Megatrends wirkt er langanhaltend, weltweit und in alle Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft hinein. Wie alle Megatrends hat er enge Wechselwirkungen zu anderen Megatrends. Mobilität wird heute und in Zukunft von fünf Treibern beeinflusst:

  • Bevölkerungsentwicklung
  • Urbanisierung
  • Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität
  • Konnektivität
  • Konvergenz

Mobilität und Verkehr als Grundlage unserer Gesellschaft sind einem ständigen und immer rasanteren Wandel unterworfen. Günstige, schnelle Erreichbarkeit und verbesserte Vernetzung gelten fast schon als selbstverständlich. Trotzdem findet die Umgestaltung von Mobilität und Verkehr nur langsam statt. Um Möglichkeiten und Chancen einer zukunftsfähigen Mobilität zu erkennen und nutzbar zu machen, müssen oftmals alte Muster aufgebrochen und Visionen getestet werden.

Die Diskussion über künftige Mobilitätsmodelle ist stark an die fortschreitende Digitalisierung, die Elektrifizierung und an ein verändertes Konsumverhalten geknüpft. Den Grundstein für eine zukunftsfähige, CO2-neutrale Mobilität bildet eine nachhaltige Energieversorgung. Elektrobetriebene und -unterstützte Fahrzeuge werden unsere Mobilität verstärkt dominieren, auch wenn Hürden wie Reichweiten, Alltagstauglichkeit, Verlässlichkeit und Sicherheit noch zu meistern sind. Elektrofahrzeuge werden unbestritten immer beliebter und besser. Aktuell verbraucht die Schweiz pro Jahr rund 65 Terrawattstunden Strom. Wäre jedes Auto elektrisch, kämen 10 bis 15 Terrawattstunden dazu, was hohe Anforderungen an die Versorgungssicherheit mit Elektrizität stellt.

Vehicle-to-Grid: Energieverbraucher werden zu Energieproduzenten

Die Energiewende begünstigt den Ausbau eines Smart Grids – eines intelligenten Stromnetzes. Aus Energieverbrauchern werden dadurch Erzeuger, und das E-Auto wird zum begehrten Speicher. Vehicle-to-Grid könnte ein echter Gamechanger werden. Früher deckten zentrale Kraftwerke den Strombedarf ganzer Städte. Heute – und noch viel stärker in Zukunft – besteht das Netz der Energielieferanten aus vielen kleinen Anbietern: Hausbesitzern mit Solarzellen auf dem Dach, Landwirten mit einer Biogasanlage oder kleinen, privaten Windkraftanlagen. Stromnutzer werden so zu Stromlieferanten in einem Stromnetz, das zunehmend intelligenter wird (siehe Grafik unten).

So könnten Elektrofahrzeuge genutzt werden, um die Stromversorgung zu unterstützen. GRAFIK RWTH AACHEN

Das Smart Grid lässt sich in Zukunft durch Elektrofahrzeuge erweitern, die Autobatterien dienen als Zwischenspeicher. Aus der Ladeeinrichtung wird eine Zwei-Wege-Verbindung: Sobald der Stromverbrauch sinkt, werden Überkapazitäten in die Autos geleitet, wo die Batterie aufgeladen wird. Zu Spitzenverbrauchszeiten geben nicht genutzte Fahrzeugbatterien ihren Strom wieder ab. Voraussetzung für eine flächendeckende Implementierung des sogenannten Vehicle-to-Grid sind Stellflächen, auf denen Fahrzeuge für mehrere Stunden mit dem Stromnetz verbunden werden können sowie eine smarte Steuerung, die das Laden und Entladen (bidirektionales Laden) regelt und abrechnet.

Plusenergiehäuser in Kombination mit Elektromobilität sind längst nicht nur in neuen Modellsiedlungen realisierbar, sondern auch bei der energetischen Sanierung von Altbauten.

Die eigene Solartankstelle

Was ist zu beachten, wenn man das Elektroauto an der eigenen Solartankstelle laden möchte? Eine CO2-freie Elektromobilität bedingt, dass die fürs Auto benötigte Energie auch tatsächlich CO2-frei produziert wird. Wer den Strom für sein Elektroauto mittels Solarkollektoren auf dem Hausdach selbst produziert, fährt am ökologischsten. Und je höher der Eigenverbrauchsanteil am selbst produzierten Solarstrom ist, desto wirtschaftlicher wird die Solaranlage und umso schneller ist sie amortisiert. Sollte sich der eigene Energiebedarf über die Jahre verändern, ist die Solaranlage aufgrund ihrer Modularität entsprechend anpassbar. Ganz ohne externen Strom geht es aber meist nicht. Trotz eigener Solartankstelle werden E-Autobesitzer hin und wieder extern Energie für ihr Elektrofahrzeug tanken müssen. Dafür werden in Zukunft immer mehr auf erneuerbare Energie basierende Öko-Ladestationen zur Verfügung stehen. 

Bidirektionales Laden als Mittel gegen Stromimporte?

Kann bidirektionales Laden von Elektroautos künftig dazu beitragen, unsere Stromimporte zu senken? Laut einer Studie der Empa könnte die Batteriekapazität von E-Autos genutzt werden, um die Abhängigkeit von Stromlieferungen aus dem Ausland zu verringern. Es ist möglich, dass die schnell wachsenden Kapazitäten von Batterien einen Beitrag zur Lösung der Problematik des Stromimports liefern. Bidirektionales Laden ermöglicht die Speicherung überschüssiger Energie aus dem Netz und bei Bedarf ein schnelles Zurückspeisen aus der Batterie. Der Stromüberschuss kann so – anstelle des heute üblichen Exports von Überschüssen – direkt zwischengespeichert und später bedarfsgerecht wiederverwendet werden. Vordergründig müssen die Netzbetreiber aber in der Lage sein, das Laden und Entladen von E- Fahrzeugen auf verschiedene Tageszeiten zu verlagern: Bei viel verfügbarer Sonnenenergie soll über die Mittagszeit geladen werden, und in der Nacht, wenn deutlich weniger erneuerbare Energie erzeugt wird, entladen werden – auch wenn dies auf den ersten Blick azyklisch zum Nutzerverhalten scheint. 

Während E-Autos die täglichen Schwankungen auffangen, können Pumpspeicherkraftwerke und Staudämme für saisonale Schwankungen genutzt werden. Das Potenzial ist aber begrenzt. Zusätzliche Lösungen für saisonale Speicherung und «intelligente Energiesysteme» werden entscheidend sein, um die Speicherprobleme und die Stromversorgungssicherheit vollständig in den Griff zu bekommen.

E-Mobility-Design von morgen – «Nutzen statt Besitzen»

Die Zukunft der weltweiten Mobilität gehört wohl der Elektromobilität – das zeigt sich an der Radikalität, mit der die grössten Automobilkonzerne ihren «Systemwandel» vorantreiben.

Verkehrsmittel werden künftig nicht länger in Konkurrenz zueinander stehen, denn ihre Nutzung wird intelligent und innovativ verzahnt. Monolineare Mobilität ist ein Konzept der Vergangenheit! Integrierte Mobilitätskonzepte positionieren Produkte und Services «intermediär» an den Schnittstellen verschiedener Fortbewegungsarten. Die Integration neuer, unterschiedlicher Transportmöglichkeiten in ein netzwerkartiges, informationsgesteuertes System wird zum Schlüssel im künftigen Mobilitätsdesign. Durch den Datenaustausch zwischen Verkehrsteilnehmern, Fahrzeugen und der sie umgebenden Infrastruktur wird die nächste Stufe der Mobilität erreicht.

Marke und Design waren und sind bis heute die entscheidenden Faktoren beim Autokauf. Der Kühlergrill als Bild der Marke ist das zentrale Element in der Designstrategie von Autoherstellern. Effiziente, elektrisch betriebene Fahrzeuge benötigen jedoch keinen Kühlergrill und stellen neue Anforderungen an Fahrzeugaufbau und Konfiguration. Während Verbrennungsmotoren vibrieren und brummen und in ihrem Inneren auf unsere Psyche wirken, kommt das Elektroauto mit utopischer Leichtigkeit daher. Elektromobilität eröffnet eine andere Form der individuellen Bewegung, bei der es nicht mehr um Dominanz, Status und die Beherrschung von Raum und Zeit geht. Mit der Elektromobilität neigt sich demnach nicht nur ein Antriebsstrang, sondern eine Kultur dem Ende zu. Das Hubraum-Kolben-Auto hat unsere Welt wie kaum ein anderes Artefakt verändert. Das Fossilauto hat Räume erzeugt, Städte, ja ganze Kontinente (Amerika) geformt. Elektromobilität irritiert diese Logik zutiefst.

Das veränderte Nutzungsverhalten wird das Automobildesign der Zukunft mittelfristig wohl stärker beeinflussen als neue Antriebstechnologien. Gerade bei jüngeren Zielgruppen wird das Auto an Prestige verlieren, denn sie interessieren sich für das Konzept «Nutzen statt Besitzen», das auf dem Prinzip der Multioptionalität beruht. Der Betrieb eines Fahrzeugs ist untrennbar vom gesellschaftlichen Umfeld, in dem sich die Mobilität bewegt und von dem die Mobilität Teil sein soll. Trotz punktueller Rückschläge wird die Mobilität der Zukunft zum Beispiel fahrerlos. Und der Grossteil an PKWs wird höchstwahrscheinlich nicht mehr in individuellem Besitz sein. Autos werden zu Hochleistungscomputern, die neben autonomem Fahren erstaunliche Dinge können. Autonom betriebene Fahrzeugflotten liessen die Nutzung eines Fahrzeugs um das Vier- bis Fünffache steigern. Ist die Antriebsenergie eines autonom fahrenden Autos zu Ende, findet es analog zu modernen Rasenmäh- und Staubsauger-Robotern selbstständig zur Dockingstation zurück.

Gesamtbetrachtung und Ökobilanz

Die grösste Umweltbelastung entsteht aber nicht beim Fahren, sondern in der Produktion und bei der Entsorgung der Autos. Wie bei Gebäuden geht es auch bei Fahrzeugen darum, die gesamte Ökobilanz zu betrachten – über den ganzen Lebenszyklus hinweg und nicht nur im Betrieb. Zur Steigerung der Energieeffizienz werden oft noch funktionsfähige Produkte durch neue ersetzt, die ihrerseits zwar weniger Energie im Betrieb verbrauchen, aber Ressourcen für ihre Herstellung benötigten. Auf dem Papier sieht das meist gut aus: Der Energiebedarf im Betrieb hat abgenommen, aber in der Gesamtbetrachtung ist die Ökobilanz bislang nicht selten negativ …